Häuslicher Unterricht - eine Alternative zum Unterricht in der Schule?
Laut § 11 Schulpflichtgesetz 1985 kann die allgemeine Schulpflicht auch durch die Teilnahme an häuslichem Unterricht erfüllt werden, sofern der Unterricht mindestens gleichwertig ist. Die Eltern oder Erziehungsberechtigten haben die Teilnahme ihres Kindes an einem häuslichen Unterricht der Bildungsdirektion jeweils vor dem Beginn eines Schuljahres anzuzeigen. Die Bildungsdirektion wiederum kann die Teilnahme an einem solchen Unterricht nur dann untersagen, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass die geforderte Gleichwertigkeit des Unterrichts nicht gegeben ist. Der Erfolg eines häuslichen Unterrichts ist jährlich vor Schulschluss durch eine Prüfung an einer entsprechenden Schule nachzuweisen. Das ist in Ausnahmefällen möglicherweise eine sinnvolle Alternative, etwa wenn Kinder sehr schüchtern sind und in den Augen der Eltern vielleicht noch zu jung und unreif sind, sich in größeren sozialen Gruppen, wie es eine Klasse darstellt, einfügen zu können. Und wenn etwa zumindest ein Elternteil selbst eine pädagogische Ausbildung erhalten hat.
Für das Schuljahr 2021/22 wurden aber besonders viele Kinder - ungefähr viermal so viele wie in früheren Schuljahren - zum häuslichen Unterricht angemeldet. Diese Tatsache ist sicherlich zu einem großen Teil der Covid-Pandemie geschuldet, weil viele Eltern ganz einfach Angst um die Gesundheit ihrer Kinder haben. Auch die Gefahr von Bildungsdefiziten wegen möglicher Lockdowns spielt sicherlich eine Rolle.
Möglicherweise glauben Eltern, dass sie häuslichen Unterricht in den Lockdown-Phasen bereits erlebt haben und ihn daher kennen. Sie hatten die Kinder zu Hause und mussten sie beim Erledigen von Arbeitsaufträgen und Aufgaben unterstützen. Der sogenannte ortsungebundene Unterricht ist aber etwas ganz anderes als häuslicher Unterricht. Im ortsungebundenen Unterricht werden die Kinder von der Lehrperson professionell begleitet, es werden ihnen – etwa über Onlinestunden oder auch Präsenzphasen – Zusammenhänge erklärt und dann Aufgaben gestellt, die dem Fortschritt des Unterrichts entsprechen.
Viele Eltern kennen die Grundgedanken der Montessoripädagogik und haben deren Elemente an ihren Kindern möglicherweise selbst schon erlebt. Zu glauben, man könne aber ganz ohne Anleitung und Führung die Kinder sich selbst überlassen und erwarten, es würde schon der richtige Moment eintreten und die Kinder würden dann schon die notwendigen Fragen stellen, ist allerdings naiv. Eine Lehrkraft hat den Lehrplan im Fokus, weiß, wie viel Energie für die einzelnen Bereiche des Lehrplans notwendig sein wird, und kann dementsprechend die Inhalte auf ein Schuljahr aufteilen. Die Lehrer/innen sind entsprechend ausgebildet. Man sollte die Kompetenzen der Lehrer/innen nicht unterschätzen! Und man sollte auch die Herausforderung, der man sich als Elternteil stellen muss, nicht unterschätzen. Vielleicht gelingt der häusliche Unterricht ja bei einem Kind, sobald es aber mehr sind, die in der Regel auch unterschiedlich alt sind, wird es schwierig bis unmöglich für jemanden, der keine Lehrerausbildung durchlaufen hat, die Herausforderung zu bewältigen. Eine Lehrperson kann einfach dank ihrer Ausbildung Lernprozesse professionell organisieren.
Es steht zu befürchten, dass viele Eltern nicht so recht wissen, worauf sie sich einlassen.
Dazu kommt, dass das Verhältnis von Eltern zum Kind ein anderes ist als dies von der Lehrperson zum Kind. Die Lehrperson ist aus ihrer Rolle heraus dem Kind gegenüber eine Respektsperson, deren Anweisungen zu befolgen sind. In der Regel genügt ein mahnendes Wort oder oft nur ein gestrenger Blick, um das Kind an seine Pflichten zu erinnern. Im Umgang mit den Eltern ist das Kind gewohnt, persönliche Interessen und Wünsche zu artikulieren, und hat bereits Strategien entwickelt, diese auch nach Möglichkeit durchzusetzen. Das steht aber einer unangefochtenen Autorität, über die in der Regel eine Lehrperson verfügt, im Wege. Oft spielen bei den Eltern viele andere Interessenspositionen und auch Konflikte, die mit dem Lernprozess an sich gar nichts zu tun haben, in diesen aber hinein und stören ihn.
Aufgrund des Bundesgesetzes über das Privatschulwesen vom 25. Juli 1962 handelt es sich dann um eine Privatschule, wenn eine Mehrzahl von Schüler/innen gemeinsam nach einem festen Lehrplan unterrichtet wird. Daher ist es auch nicht zulässig, dass häuslicher Unterricht eine größere Gruppe von gleichaltrigen Kindern umfasst, die gemeinsam unterrichtet werden.
Genau darin liegt aber die Crux des häuslichen Unterrichts. Durch Externistenprüfungen können Sachkompetenzen in diversen Unterrichtsgegenständen überprüft werden, was aber völlig zu kurz kommt und auch nur sehr schwer überprüfbar ist, ist die Tatsache, dass die Schule in einem sehr wesentlichen Ausmaß ein Ort des „Sozialen Lernens“ ist. Ziel eines Unterrichts muss neben dem Erwerb von Sachkompetenz immer auch der Erwerb von Selbst- und Sozialkompetenz sein.
Auf der Homepage des Österreichischen Zentrums für Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen (ÖZEPS) (www.oezeps.at) sind einige Punkte angeführt, die zu diesem Erwerb von sozialer Kompetenz dazugehören:
Die Schule
- bietet ein Klima von Zusammenarbeit und gegenseitiger Wertschätzung,
- bietet Modelle zu konstruktiven Konfliktlösungen, wie z.B. Peer-Mediation,
- ist bedacht auf einen verständnis- und respektvollen Umgang mit anderen Menschen und anderen Kulturen.
Vieles beim „Sozialen Lernen“ ist aber gar nicht Teil des Unterrichts, sondern es „passiert“ einfach in einer Klassengemeinschaft. Da ist auch viel Freude dabei und Schule wird dann als positiv empfunden. In den Flachgauer Nachrichten vom 9. September 2021 werden Kinder vor dem Schulbeginn interviewt. Ein Mädchen aus Faistenau schildert, dass es sich neben dem Üben von Lesen und Schreiben auf den Turnunterricht, auf die Pausen und darauf freut, jeden Tag seine Freunde und Freundinnen zu sehen. Das halten wir für einen ganz wichtigen Punkt, ein Ziel von Schule ist ein freudvolles Miteinander von Gleichaltrigen. Und genau dieses Ziel kommt beim häuslichen Unterricht zu kurz.
Kinder müssen sich von ihren Eltern emanzipieren können. Im Wort Emanzipation steckt der lateinische Begriff „e manu capere“, was „aus der Hand nehmen“ bedeutet. Gerade dieses Loslassen des eigenen Kindes ist enorm wichtig. Ein Kind darf seine Stärken und Schwächen entdecken, seine Interessen vertiefen und seine Persönlichkeit entwickeln. Natürlich muss dieser Prozess in Sicherheit und vertrauensvoller Umgebung ablaufen. Ziel ist es, dass der junge Mensch sukzessiv selbständig und auch geistig autonom wird. Letztlich muss und darf er dann selbstbewusst sein eigenes Leben gestalten. Gleichzeitig soll der junge Mensch die Regeln des Zusammenseins kennenlernen und Diversität und Meinungsvielfalt respektieren lernen.
Wir leben gerade in einer Zeit, in der die gesellschaftliche Spaltung fortschreitet, das Gemeinsame oft in den Hintergrund tritt. Wenn die Interaktion mit dem Mitschüler/innen positiv empfunden wird und Konflikte nicht unter den Teppich gekehrt werden, sondern gemeinsam eine Lösung entwickelt wird, wird der junge Mensch auch im Erwachsenenalter vorgefundene gesellschaftliche Strukturen nicht ablehnen, sondern er wird versuchen sie zu verändern und weiterzuentwickeln.
Schule ist daher sehr umfassend zu sehen, der häusliche Unterricht - mag er noch so kompetent sein - kann viele Facetten nicht anbieten und abdecken. Daher sollte er nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen. Eine umfassende und individuelle Beratung der Eltern ist daher unbedingt notwendig. Die Externistenprüfung am Ende eines Schuljahres deckt das Lernen in seiner Gesamtheit nicht ab.